Typisch deutsch

30.07.2014, kurz nach dem Achtelfinale der Fußballweltmeisterschaft mit deutscher Beteiligung. Deutschland tat sich gegen Algerien unerwartet schwer und hat sich mit einem schwer erkämpften 2:1-Sieg nach Verlängerung gerade noch dem Elfmeterschießen entziehen können. Per Mertesacker tritt vor das Mikrofon von Boris Büchler und reagiert gereizt und patzig auf die immer wieder in anderen Variationen gestellte Frage danach, was das deutsche Spiel jetzt genau so scheiße gemacht hat. "Typisch deutsch", war meine erste Reaktion, was Frau Galore mit "als wäre das woanders nicht so" kommentierte. Sie hat natürlich Recht, für einen "Typisch deutsch"-Stempel bräuchte man eventuell einen Vergleich, also achtete ich mal drauf.

Zunächst mal wühlte ich mich am Tag danach durch die deutschen Onlinemedien. Wie zu erwarten war, beweihräucherte man sich gegenseitig. Man gratulierte Herrn Büchler dazu, mal was anderes aus den Stars gekitzelt zu haben als vorgekautes PR-Gequatsche. Emotion. Das stimmte und ist erfrischend, selbst wenn dafür eine äußerst unhöfliche Gesprächsführung nötig war. Lag ich also falsch? Hatte Herr Büchler eigentlich alles richtig gemacht? Geht so kritischer Investigativjournalismus?

Ja, ja. Gehen wir einfach mal kurz davon aus, sowas sei am Spielfeldrand überhaupt möglich.
Gleichzeitig regte man sich darüber auf, dass ein Profifußballer aber doch bitte anders auf kritische Fragen zu reagieren hätte. Vor meinem geistigen Auge erschien Per Mertesacker und sagte wütend "Wat wollen Se? Wollen Se emotionale Antworten, oder sollen wir wieder den Einheitsbrei auspacken?". Dann wurde er kurz verdrängt durch Herrn Büchler, der direkt nach dem Sex betont, dass es schön war, um gleich danach zu fragen, warum es im Vorspiel und beim Stellungswechsel heute nicht ganz so gut klappte.

Ich möchte nicht weiter darüber sprechen. Wirklich.
Aber gut, aus journalistischer Sicht scheint ja alles gar nicht so schlimm zu sein. Kollege Büchler besaß den Mut, mehr als nur ein Stichwortgeber für die immer gleichen Phrasen zu sein und auch mal provokante Fragen zu stellen. Kollektives Schulterklopfen.

Wenn man mal genauer hinsieht hat Herr Büchler aber dann doch eigentlich nichts anderes gemacht, als die sonstigen Feldreporter auch. Er spielte den Bedenkenträger, den Advocatus Diaboli, den Haar-in-der-Suppe-Sucher. Denjenigen, der in einer angespannten Situation, nach 120 Minuten purem, mit dem C-Rohr durch den Körper gepumpten Adrenalin, das emotionale Trüffelschwein spielt und die zweifellos erfolgende und auch bitter nötige Tiefenanalyse eines durchwachsenen Spiels vorwegnehmen und in 2 Sätzen auf den Punkt gebracht haben möchte. Wer sich anders verhalten hat, liebe berichterstattende Zunft, ist nicht Herr Büchler, sondern der "big fucking german" Per Mertesacker, der die Fragestellungen, zu Recht, als unhöflich empfand und dies auch zum Ausdruck brachte.

Inzwischen glaube ich, dass ich Recht habe. Es ist eben doch typisch deutsch. Respektlosigkeit wird mit Mut verwechselt und an vermeintlich Positivem nur das Negative gesehen. Ich habe mir dann das nachfolgende Spiel Argentinien gegen die Schweiz angeschaut und die Vorzeichen waren ähnlich. Der Favorit Argentinien wankte, die Schweiz hielt stark dagegen bis sich am Ende eben doch der Favorit durchsetzte. Ebenfalls in der Verlängerung, 2 Minuten vor dem Elfmeterschießen, wo dann mehr oder weniger das Glück entscheidet, was die Leistung nicht entscheiden konnte. Nach dem Spiel gab der einzige Torschütze Angel di Maria ein Interview.

Es gab nur zwei Fragen. Die zweite war, ob und wie man das Spiel nicht auch in der regulären Spielzeit hätte gewinnen können. Herrn Büchlers an Per Mertesacker gerichtetes Äquivalent dazu war "warum es in der Defensive und beim Umschaltspiel nicht so gut gelaufen ist". Selbst völligen Laien auf dem Gebiet der Empathie wird nicht entgehen, worin der Unterschied in den Fragen besteht. Die erste zeigt ein Interesse an einer Antwort und enthält ein gewisses Maß an Höflichkeit, während das einzige was die zweite enthält, ganz fachmännisch, ein Urteil ist und praktischerweise auch gleich mit dem Finger auf die Schuldigen zeigt. Das mag in Journalistenkreisen als mutig gelten, was Hoffnung für Kind2(7) macht, die halt auch einfach mal wildfremde Leute in der Schlange am Supermarkt fragte, was denn das Problem mit ihren Haaren sei, für mich ist es in erster Linie unfreundlich. Also, beides. Kind2(7) weiß das inzwischen, bei Herrn Büchler bin ich mir nicht so sicher.

Viel interessanter ist aber eigentlich der Gesprächseinstieg. Das deutsche Interview begann mit der Frage "Was hat das deutsche Spiel so schwerfällig und so anfällig gemacht?", das argentinische mit "Wissen Sie, dass Sie ein Held sind?". Und das, meine lieben Auslinienjournalisten hat etwas mit Respekt zu tun. Ja, auch mit Pathos und Übertreibung, aber eben auch mit Respekt.

Herzlichst, Ihr Rock Galore

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