Wie ich mal den Teufel traf

Ian Watkins war Sänger der walisischen Band lostprophets. Ich war großer Fan ihres ersten Albums "The Fake Sound Of Progress". Ich interviewte Ian Watkins am 18.02.2002 für ein Onlinemagazin. Ich ließ 3 ihrer Debütalben für ein Gewinnspiel signieren und mein eigenes gleich mit. Ich habe es heute noch. Ian Watkins sitzt seit 4 Monaten im Gefängnis. Er ist geständiger und nich dazu wenig schuldbewusster Kinderschänder.
In etwa so lange weiß ich auch davon und ich muss gestehen, selten ging mir eine Meldung so nahe. Ich erinnere mich an den Interviewtag im Februar. Es war einen Tag nach meinem Geburtstag, ein Freund war dabei, um Fotos zu machen. Wir saßen im Tourbus der Band. Ich erinnere mich daran, dass das Interview schwierig war, der walisische Akzent stellte mein zu diesem Zeitpunkt gar nicht mal so schlechtes, aber auch schon einige Jahre altes, Schulenglisch vor nahezu unüberwindbare Hürden. Ich konnte im Grunde nur meine Fragen abspulen und hoffen, dass ich die Antworten wenigstens zu Hause vom Band richtig verstehen könne. Nicht unbedingt beste Voraussetzungen für ein Gespräch und auch nicht unbedingt meine beste Arbeit. Meine Konversationspartner waren übernächtigt und sahen müde und kaputt aus. Das Konzert war großartig, die Karriere steil, der Absturz tief.

Würde ich an Gott glauben müsste ich wohl zwangsläufig davon ausgehen, an diesem kalten Februartag einer Inkarnation seines Konterparts gegenüber gesessen zu haben. Er war 24, prinzipiell gutaussehend und ziemlich verkatert und tatsächlich versuche ich immer wieder, mir ins Gedächtnis zu rufen wie er aussah an diesem Tag. Wer mein Gedächtnis ein wenig kennt weiß um die Hoffnungslosigkeit dieses Unterfangens. Ich besitze ein T-Shirt der lostprophets und ein Hoodie. Sie lagern seit dem vergangenen November in einer sehr hinteren Ecke meines Kleiderschranks. Ich habe alle Lieder aus meinen Playlists entfernt und doch shuffelt mir der MP3-Player noch manchmal eins rein. Ich skippe dann, auch wenn das eigentlich albern ist.

Ich bin nicht sicher, warum ich diesen Blogpost schreibe, es ist mein erster ohne Ziel, ohne Plan, ohne ein Ende. Es gibt keine Spitzen, keine Ironie, keine mehr oder weniger gut versteckten Scherze. Nicht mal schlechte. Nur eine sehr hartnäckige, bedrückende Emotion unbeholfen in Worte verpackt. Ich bin Vater und jedes Mal wenn man wieder hört, dass Kinder in der Nähe des Wohnorts auf dem Heimweg von der Schule angesprochen wurden (was leider viel zu oft passiert) sorgt man sich, dass "einer von denen" sich mal eins deiner Kinder aussucht. Seit dem vergangenen November kann ich nun behaupten, mal "einen von denen" gesehen, ihm gegenüber gesessen, mit ihm gesprochen zu haben. Er sah ganz normal aus. Das ist beängstigend. Ich weiß, wie naiv das klingt, aber es besteht ein Unterschied zwischen Dinge "wissen" und Dinge WISSEN.

Herzlichst, Ihr Rock Galore

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