Hysterie repeating

Wie Sie vielleicht mittlerweile wissen, beziehe ich hier manchmal netzintern unbequeme Positionen und hinterfrage das eine oder andere Shitstörmchen auch gerne mal etwas kritischer, als es Teile der Netzgemeinde im Allgemeinen tun. Mein heutiger Beitrag gilt dem Thema "AdBlock Plus", bzw. dem grundsätzlichen Thema Werbung und der Akzeptanz, für Inhalte in Form von Geld und/oder Zeit zu bezahlen.


Was war passiert?
AdBlock Plus gilt als einer der beliebtesten Werbeblocker der Welt. Kürzlich kam nun heraus, dass man sich bei der Herstellerfirma eine "Sie kommen aus dem Bannergefängnis frei"-Karte kaufen kann, die einem einen Platz auf einer dubiosen weißen Liste "akzeptabler Werbung" sichert.
Die Frage, die sich mir persönlich zunächst stellte war: Wieso eigentlich nicht? Jeder, der ein Produkt herstellt, hat das Recht, dieses Produkt exakt so aussehen zu lassen wie er möchte und exakt die Funktionen einzubauen, die er darin sehen will. Jeder hat das Recht Geld zu verdienen und jeder hat ebenso das Recht, Software nicht einzusetzen, die ihm nicht passt.

Aber die Netzgemeinde sieht mal wieder ihr persönliches Selbstbestimmungsrecht in Gefahr und läuft Sturm. Wogegen weiß sie wahrscheinlich selbst nicht so ganz genau, denn immerhin handelt es sich bei der oben beschriebenen Funktion um eine Option(!), die von jedem(!) selbst(!) ausgeschaltet werden kann! Aber wie wir alle wissen, hört die Lust am Selbstbestimmungsrecht meist da auf, wo man selbst etwas dafür tun müsste, wie zum Beispiel ein Häkchen setzen. Was zu der spannenden Frage führt, warum das Netz nicht einfach in Form einer Anleitung zum Abschalten reagieren kann, sondern das Thema zum Skandal mutieren lassen muss?

Ich fange mal mit der Verschwörungstheorie an.

Die Menschen LIEBEN Verschwörungstheorien!
Vor einigen Wochen gab es eine viel belachte beachtete Kampagne einiger großer Nachrichtenportale, die darauf abzielte, die User dahingehend zu sensibilisieren dass Inhalte Geld kosten und sie darum bat, die AdBlocker abzuschalten. Das Ganze war ein Rohrkrepierer, der das Thema AdBlocker kurzzeitig richtig populär machte und damit im Grunde das genaue Gegenteil seiner ursprünglichen Intention erreichte. Vom Hohn und Spott im Netz fange ich mal gar nicht erst an. Aber die Presse hat immer noch die Macht Themen so aufzubauschen, dass sie größer erscheinen als sie sind und so wird aus einer kleinen, frei wählbaren Option, plötzlich ein Politikum. Ein Skandal. Und Google soll auch involviert sein!!11elf1!
Dieses Google, das ja bekanntermaßen an der Kaffeetafel der NSA an der Kopfseite sitzt und mit Blattgold verzierte Sachertorte isst. Direkt gegenüber von Facebook, deren Verwicklung in den "Skandal" um AdBlock Plus ich in den kommenden Tagen erwarte. Also was läge für die Pressemacht näher, als den Butterfly-Effekt zu nutzen, der Netzgemeinde vorzugaukeln sie würde betrogen und dabei zuzusehen, wie aus dem Flügelschlag ein Shitstorm wird, der das Vertrauen in Werbeblocker so weit zerstört, dass ein nicht unerheblicher Teil der Userschaft lieber darauf verzichtet?

Wissen Sie was? Ich belasse es bei der Verschwörungstheorie, die gefällt mir einfach, und stelle mal etwas provokant die Frage, worüber sich überhaupt aufgeregt wird. Ja, Werbung ist störend, vor allem diejenige die sich über Inhalte legt und dort, um Aufmerksamkeit heischend, rumzappelt und sich nicht wegklicken lässt, aber sie ist nun mal auch notwendig. Ich persönlich glaube fest an die Selbstregulierung. Ich habe nie einen AdBlocker installiert gehabt, weil ich Seiten, die mich zu aufdringlich bewerben einfach nicht mehr besuche. Man hat als User Macht(!), was gerne vergessen wird. Wenn die Abrufzahlen einer Seite nach Schaltung einer bestimmten Werbestrategie signifikant sinken, dann wird diese auch wieder entfernt. Das ist so sicher, wie der nächste Sexskandal in der katholischen Kirche, denn so funktioniert Marktwirtschaft nun mal. Und das geht auch ganz ohne (grade kleinen) kostenlosen Angeboten die komplette finanzielle Grundlage zu entziehen, indem man mit der Block-Kanone auch auf die kleinsten Werbespatzen schießt.

Aber das ist wie immer nur meine Meinung. Wir regen uns nicht darüber auf, dass namhafte Kleidungshersteller uns ihre in Billiglohnländern zusammengeklöppelten Waren völlig überteuert verkaufen und uns mit riesigen Logoprints zu wandelnden Litfaßsäulen umfunktionieren. Im Gegenteil. Wir geben sogar viel Geld dafür aus, zum Werbeträger für Weltkonzerne werden zu dürfen. Es ist zu einem Statussymbol geworden, für Großkonzerne als Reklame rumzulaufen. Aber eine kleine Firma mit einem AdBlocker darf kein Geld damit verdienen, indem sie nur 90 statt 100% der Werbung ausfiltert. Und im Netz darf man sowieso kein Geld verdienen, selbst wenn man Angestellte für die Herstellung bezahlen muss!
Die BILD-Zeitung zählt sicherlich nicht zu den Qualitätsmedien, aber eben diese werden sich sehr genau ansehen, wie das Paywall-Konzept angenommen wird. Ich bin gespannt darauf, wie lange es dauert, bis Informationen jenseits Micaela Schäfers Körbchengröße im Netz ein Gut der Besserverdienenden wird, weil wir sie statt mit Zeit, die jeder hat, in der wir beworben werden, mit echtem Geld, das nicht jeder hat, bezahlen müssen. Von den öffentlich-rechtlichen Inseln mal abgesehen. Diese Entwicklung ist meiner Meinung nach auf so vielen Ebenen falsch, dass man aus ihr butterweiches, dafür aber leider unbenutzbares, Toilettenpapier herstellen könnte.

Ich komme, zum Abschluss, doch nochmal kurz zu einem möglichen Grund für den Shitstorm, über die Verschwörungstheorie von oben hinaus. Werbung im Privatfernsehen wird zwar als nervig empfunden, ist aber weitgehend als notwendiges Übel akzeptiert. Ja, auch darüber wird sich aufgeregt, aber sie wird halt ertragen. Wir schalten trotzdem ein und meckern nachher darüber, mit Fernsehen schlechter Qualität PLUS Werbung belästigt worden zu sein, statt halt einfach in der Zeit mal ein gutes, und in den meisten Fällen werbefreies, Buch zu lesen. Und wir meckern über die Praktiken von AdBlock Plus, statt einfach das Häkchen zu setzen, es zu deinstallieren und/oder ein anderes Produkt einzusetzen.
Das bringt mich zu der steilen These, dass wir vielleicht einfach gar nicht an Lösungen interessiert sind, sondern vielmehr an Problemen, über die wir uns dann aufregen können. Gerne von "denen" verursacht, oder wenigstens den Eindruck erweckend, als würde es von "denen" verursacht. Und so wird aus einem harmlosen "Wenn du das nicht willst, mach hier das Häkchen weg"-Hinweis ein Shitstorm. Weil wir es können.

Herzlichst,
Ihr Rock Galore

Kommentare

  1. Hallo,
    ich habe heute die Kommentarfunktion dahingehend geändert, dass man nun wieder ohne Google+-Konto Kommentare abgeben kann.

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