Das Internet - Die letzte moralische Instanz

Manche Menschen lassen Trinkgeld auf dem Tisch liegen, wenn sie ein Etablissements verlassen. Es wurde von seinem Besitzer der Öffentlichkeit überlassen, nur formlos adressiert, und der Empfänger weiß noch nicht mal was von seinem Glück, also nehmen wir es. Wir geben es für uns aus oder legen es unsererseits als Trinkgeld auf unseren Tisch, um den beliebten Titel "Gast des Tages" zu erwerben. Ein Verbrechen ohne Opfer, im Grunde wurde nicht mal was gestohlen, denn es gehörte ja streng genommen niemandem. Nennen wir es lieber "Umverteilung".
So in etwa funktioniert Moral im Bezug auf geistiges Eigentum in weiten Teilen des Internets. Klingt komisch, ist aber so und spätestens jetzt sollten Sie den Sarkasmus in der Überschrift entdecken.



Ich schrieb mal einen Tweet über einen Tag im Garten, der so heiß war, dass ein Hobbit einen Ring über den Zaun warf.

Disclaimer
Das ist nicht wirklich passiert. Ich suchte nur nach einer humorigen Assoziation zum Thema Hitze.
"Tweetklau? Du willst ernsthaft über Tweetklau bloggen?" Nein, eigentlich nicht. Als Beispiel muss halt ein Tweet herhalten, weil ein Großteil meines digitalen Lebens auf Twitter stattfindet und dass es einer von mir ist sei meinem Hang zur Selbstdarstellung geschuldet. Das gibt mir so einen geheimnisvollen, leicht exzentrischen Touch. Ich hätte auch anderer Leute Tweets nehmen können. Diesen zum Beispiel

oder auch diesen
oder viele andere, aber das ist im Grunde egal, denn sie haben alle eines gemeinsam: Sie wurden vom Internet assimiliert, durchgekaut und wieder ausgespuckt. Aus dem Garten wurde auf Facebook eine Wohnung und aus einem Hobbit wurden zwei, als der Tweet sich in die unendlichen Weiten des Cyberspace auf machte und dann irgendwann wieder, wie der verlorene Sohn, zu Twitter zurückkehrte. Ohne Quellenangabe versteht sich, dafür mittlerweile in mehreren Dutzend Accounts. Das ist auch kein Problem, denn das abgelegte Trinkgeld gehört ja niemandem es wurde ja nichts geklaut. Es wurde "weiterverbreitet" und darum geht es ja schließlich bei Witzen.

Nicht ganz. Denn mittlerweile haben auch Firmen das Internet entdeckt. EMP füllt ganze virtuelle Regale mit T-Shirts, auf denen Tweets stehen. "Autoren" bringen Witzebücher mit Scherzen anderer Leute auf den Markt. Radiosender festigen ihren Ruf als hippes, voll lustiges Konglomerat aus ewig jungen SpaßvögelInnen mit einem auf Dauerfeuer gestellten Witzejoystick. Es sind halt nicht die eigenen Witze, aber wer wird schon so kleinlich sein. Berufskomiker wie Oliver Pocher haben es nötig, sich Scherze aus dem Internet zusammenzusammeln (in diesem speziellen Fall den oben zuletzt zitierten, der entsprechende Tweet wurde inzwischen entfernt), um sich auf Twitter damit zu profilieren und ihren Marktwert zu steigern.

Der Begriff "Komiker" wurde hier nur der Einfachheit halber im Zusammenhang mit Herrn Pocher gewählt und entspricht der landläufigen Meinung, aber nicht unbedingt der des Autors.
"Quelle: Internet" als billiger Contentlieferant. Da wird Geld verdient mit der geistigen Arbeit anderer, ohne sie dafür zu bezahlen. Das ist übrigens verpönt im Mitmachnetz. Das Kopieren von Inhalten ist nämlich nur erlaubt und geduldet, solange man damit kein Geld verdient, sich keinen Doktortitel erschleicht und man nicht selbst kopiert wird. So wie es in vielen Fällen eben lustig ist, wenn jemand stolpert und fällt, außer man ist halt grad blöderweise zufällig selbst der Fallende.

Der Begriff des "Teilens" im Internet hat sich schon lange verselbstständigt. Mit "Teilen" ist nämlich das verbreiten der ursprünglichen Quelle gemeint, zu welchem Zweck auch immer. Es ist damit nicht gemeint, sich den Inhalt zu eigen zu machen, um sich mit dem geistigen Eigentum anderer zu profilieren. Denn sind wir einfach mal ehrlich, ohne Leser würde doch keiner von uns, zum Beispiel, twittern, sondern wohl eher zum guten, alten Tagebuch greifen und wir würden unsere Scherze wieder den Freunden erzählen, möglicherweise bei einem Bier. Nein, die Währung, in der die nicht-professionellen Contentproduzenten bezahlt werden ist letztlich die gleiche wie die der sich im netz bewegenden Profis. Es ist Reichweite, es sind die Likes und die Sternchen, die Herzchen und die Retweets, es ist das Interesse der anderen am eigenen Output. Es ist Aufmerksamkeit.

Gibt jetzt jemand diesen Output als den eigenen aus, und erntet somit was man selbst gesät hat, so schadet man dem Urheber natürlich in den wenigsten Fällen wirklich konkret, aber man bringt ihn um den Lohn seiner "Arbeit". Und ganz ehrlich, auch wenn ich das nicht mehr so durch die Timeline trage wie ich das früher manchmal tat, mich nervt das. Wenn andere sich mit meinen Federn schmücken, dann nervt mich das und ich bin fast sicher, dass ich nie die Stufe der Ausgeglichenheit erreichen werden, auf der es mich nicht mehr nervt. Steinigen Sie mich.

Das ist nur so eine Redewendung. Steinigen Sie mich bitte nicht!
Abgesehen von der letzten Bitte, deshalb von mir nur nur noch der kleine Wunsch, es mit meinem guten Freund Konfuzius zu halten: Behandle den Content anderer, wie du auch deinen eigenen Content behandelt sehen möchtest. Es gibt in jedem Medium Möglichkeiten, dem Urheber Tribut zu zollen, nutzen Sie sie, denn wenn wir unsere Daten schon gegenseitig nicht respektieren, warum sollten es dann andere tun?

Herzlichst,
Ihr Rock Galore

PS: Das war jetzt wenig gehaltvoll für eine so vor Pathos triefende Überschrift, sagen Sie? Da haben sie völlig Recht. Sehen Sie diesen Post einfach als Beispiel für die Bigotterie im Netz und der Gesellschaft, wo mit dem Schutz geistigen Eigentums immer nur das eigene und nie das der anderen gemeint ist. Und für ein ethisches Empfinden, das grundsätzlich an der eigenen Nasenspitze aufhört. Vielleicht mache ich eine Serie daraus. Themen gäbe es wahrlich genug.

Kommentare

  1. Hallo,
    ich habe heute die Kommentarfunktion dahingehend geändert, dass man nun wieder ohne Google+-Konto Kommentare abgeben kann.

    Die bisher zu diesem Post abgegebenen Kommentare findet ihr hier:
    https://plus.google.com/ripples/details?url=http%3A%2F%2Fblog-galore.blogspot.com%2F2013%2F07%2Fdas-internet-die-letzte-moralische.html

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